Künstliche Intelligenz: Die digitale Zukunft in der Pflege gestalten. 9. Fachtagung Technik – Ethik – Gesundheit
Künstliche Intelligenz: Die digitale Zukunft in der Pflege gestalten. 9. Fachtagung Technik – Ethik – Gesundheit
(De-)Humanisierung durch Roboter? Eine Gegenüberstellung
Text
Einleitung & Motivation
Dass die Pflege sich angesichts neuer Technik wandelt, ist kein neues Phänomen. Waren es im 19. Jh. etwa Fieberthermometer ([1], 21f), so sind heute KI und Roboter auf dem Sprung, die Pflege nachhaltig zu verändern. Die Aussicht, dass künftig komplexe, mit KI ausgestattete Roboter zunehmend Aufgaben im Pflegekontext übernehmen oder gar Pflegekräfte verdrängen werden, wird häufig als »dehumanisation of care and society« beschrieben [2]. Diese zweifach verstehbare Entmenschlichung der Pflege – das Englische bietet die Ableitungen humane und human – weist sowohl normative als auch (prospektiv) faktische Implikationen auf. Ist es an sich (in-)human, eine Zukunft anzustreben, in der Roboter die Aufgaben von Pflegekräften auch gänzlich übernehmen können? Stellt es an sich eine Würdeverletzung dar, von Robotern und nicht von Menschen gepflegt zu werden? Und liegen in der Pflegerobotik auch Chancen der Humanisierung der Pflege?
Im Nachdenken über diese Fragen werden im Folgenden zunächst Aspekte der Dehumanisierung aufgegriffen, denen in einem zweiten Schritt Humanisierungspotentiale von Pflegerobotik gegenübergestellt werden, gefolgt von einem kurzen Fazit.
Robotik als Dehumanisierung der Pflege
Dehumanisierung als Ersetzung menschlicher Fachkräfte
Unter »Dehumanisierung« der Pflege wird zunächst die Zielsetzung verstanden, künftig Pflegekräfte faktisch zu ersetzen. Angesichts des Standes der Technik liegt diese Zukunft noch fern, zumal Roboter mit sog. KI erst neuerdings an Boden gewinnen. Entsprechend zielt der Ersetzungsdiskurs analog zum Diskurs zu KI in der Pflege nach Assadi und Manzeschke derzeit (noch) darauf, »für technische Mittel die sozialen Probleme zu suchen, statt das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege in seiner Breite und Tiefe zu analysieren und nach Lösungen zu suchen« ([3], S. 203).
Die Ersetzung künftiger Fachkräfte kann auch jenseits technokratischer Applikationen gewollt sein, etwa um unerwünschte soziale Alternativen zu verhindern. Angesichts der jahrelangen Lobbyarbeit japanischer Pflegeverbände gegen Öffnungen der Arbeitsmigration, bestärkten sie letztlich den Ersetzungsdiskurs. Sie wie auch andere Stakeholder der japanischen Gesellschaft bevorzugten auch aufgrund von Xenophobie Alternativen zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte, und sei es um den Preis der Dehumanisierung [4].
Dehumanisierung als Ersetzung menschlicher Arbeit durch Roboter
Der These, dass Pflege durch den Einsatz von Robotik unmenschlich werde, liegt normativ zugrunde, dass zwischenmenschliche Interaktion ungleich besser sei. Diese zu ermöglichen, sei nicht nur Ausdruck der Würde ([5], S. 156). Gegenüber Dystopien wie der Amanda Sharkeys, in der Ältere nur noch mit Robotern interagieren, postuliert Laitinen ein »central […] right to human contact« ([5], S. 159). Da die Implementierung nach und nach die Pflege insgesamt übernehmen und damit die Pflege älterer Menschen weitgehend dehumanisieren werde, gelte es, diesem slippery slope insgesamt fernzubleiben.
Zumindest aus Sicht der Pflegekräfte ist diese These überzeichnet. Etwa macht Wrights Studie deutlich, dass Pflegende keine Gefahr ihrer Ersetzung befürchten. Dennoch stellt Wright in seiner Analyse das Problem einer Ersetzung direkter menschlicher Interaktion heraus, auch mit Blick auf Xenophobie.
Dieses vermutlich internationale Moment hat auch konkrete praktische Auswirkungen. Tilgt der Kommunikationsroboter Pepper »the need for fluency in Japanese and a knowledge of Japanese culture«, eliminiert die flauschige Beschäftigungs-Robbe Paro »some of the need for direct verbal interaction between care staff and residents, which has often been as a fundamental barrier for foreign care workers in Japan. Hug [a lifting robot, WK], in turn eliminated much of the need for foreign care staff to directly touch older Japanese bodies during lifting, which has likewise been identified as a reason for rejecting migrant care« ([4], S. 130).
In diesem Sinne ging die politische Transformation in Japan, die die Tore für Arbeitsmigration für den Pflegebereich erst in jüngster Zeit sehr weit geöffnet hat, mit der Förderung von Technologien einher, welche die Berührung von wie auch die Kommunikation mit Heimbewohner:innen durch Nicht-Japaner:innen in Teilen unnötig machen. Eng geführt sollen die Roboter in dieser Perspektive die zunehmend fehlenden japanischen Pflegekräfte ersetzen und dabei zunehmend unmittelbaren Kontakt von nicht-japanischen Pflegekräften und Gepflegten erübrigen.
Ein weiteres Moment, dass mit der Implementierung von Robotern in der Pflege verbunden ist, liegt in Entwertungserfahrungen der Pflegenden. Die individuelle Einschätzung eines Pflegearbeiters – warum steigen nicht die Gehälter, statt teure Roboter anzuschaffen? – ordnet Wright ökonomisch ein. Einerseits werde die Pflegearbeit gegenüber gutbezahlten Ingenier:innen und Developer:innen entwertet, andererseits seien Pflegekräfte zunehmend damit beschäftigt, dem Robotern zu assistieren und ihn zu pflegen ([4], S. 127-130). Denkt man die Einschätzung des genannten Pflegers weiter, spiegelt sich in der Bewertung »teuer« darüber hinaus die Ansicht, dass das Verhältnis von Kosten und Nutzen solcher Roboter in keinem Verhältnis stehe zu dem Wert menschlicher Pflegearbeit. Insgesamt ist eine Entwertungserfahrung von menschlich-pflegerischer Arbeit nicht nur auf Ebene der Qualität und Professionalität, sondern zumindest auch mit Blick auf Bezahlung und, damit verbunden, der Abwertung gegenüber nichtpflegerischer Arbeit auszumachen. Letztere Missachtung wird zudem anschaulich daran, dass die Pflegekräfte in Japan weder bei der Entwicklung noch der Implementierung der Roboter zu Rate gezogen wurden.
Robotik als Humanisierung der Pflege
Gepflegte
Mit Blick auf Gepflegte ist zunächst festzuhalten, dass ältere Menschen bereits mit den bisher breiter getesteten Robotern auch gute Erfahrungen gemacht haben. Gerade companion robots wie Paro oder andere Tierroboter lassen sich als Stärkung des selbstständigen Handelns älterer Personen lesen. Etwa stellt Thunberg mit Blick auf bei hunde- oder katzenähnliche Roboter in Pflegeheimen heraus, dass ältere Herrschaften für diese »Tiere« Verantwortung und Fürsorge übernehmen. Auch die Möglichkeit, mit jenen Umgang und Berührung zu haben, zeigte demnach positive Auswirkungen, sozial wie auch medizinisch messbar, zumal gerade Gepflegte selten die Gelegenheit haben, aktiv andere zu berühren ([6], S. 119-121). Selbst nicht nur gepflegt zu sein, sondern sich aktiv um ein Gegenüber bemühen zu können, wird hier vielfach als Gewinn erfahren.
Gegenüber diesen vor allem auf Haptik und nonverbale Interaktion zielenden companions gibt es zunehmend Roboter, die Sprache verarbeiten und nutzen können. Selbst die in dieser Hinsicht noch recht beschränkte Roboterpuppe Ourpuppet ruft bereits bei älteren Personen Bindungsgefühle und mitunter Vertrautheit hervor. Unter Voraussetzung entsprechender Investitionen werden humanoide Roboter angesichts aktueller Fortschritte im Bereich Sprachfähigkeit und Emotionserkennung in absehbarer Zeit auf ein neues Niveau kommen. Gerade Steigerungen in technischer Reliabilität und Funktionsumfang stellen zentrale Voraussetzungen der Annahme künftiger Robotik dar ([2], S. 12). Vorstellbar ist zudem, dass Erfahrungen enger Bindungen von Menschen an personalisierende Formen von KI wie etwa Replika auch mit der Physis der Roboter verbunden wird, was die bekannten Problematiken noch verstärken könnte [7].
Die Chance von Pflegerobotern liegt möglicherweise auch darin, dass sie keine Menschen sind. Zunächst haben Roboter im Gegenüber zu Menschen andere Formen der Erschöpfung. Sie müssen ab und an gewartet, gereinigt, geladen, mitunter repariert oder ausgetauscht werden. Jedoch dürfte es kaum vorkommen, dass Roboter nach einem langen Arbeitstag die weiter erforderlichen Tätigkeit mit weniger Genauigkeit oder Geduld versehen. Wenn die Technik den Stand erreicht, dass hinreichende Sicherheit auch in komplexen Situationen gewährleistet werden kann, könnte hier ein Vorteil von Pflegerobotern gegenüber Pflegekräften liegen. Gepflegte könnten es vorziehen, bei entsprechenden Fähigkeiten von einem Roboter statt von einer möglicherweise überarbeiteten Pflegekraft ins Bett gebracht zu werden, was auch mit dem nächsten Punkt zusammenhängen könnte.
Ein dritter Aspekt betrifft die Wahrnehmung der Roboter. Diese wirken im Gegenüber zu Menschen nicht als Personen, vor denen man Scham empfindet. Angesprochen auf ihre Hoffnungen zu Pflegerobotik gingen in einem Video eines Caritasverbandes ältere Frauen direkt auf konkrete Hilfestellungen ein, die sie sich von Robotern erwarten. Diese sollten sie zur Toilette bringen, waschen, duschen und ihnen bei diversen Dingen des Alltags helfen. Dass ausgerechnet dieser Bereich adressiert wurde, spricht dafür, dass es nicht wenigen Gepflegten unangenehm sein dürfte, vor anderen regelmäßig nackt und bedürftig zu sein. Es könnte durchaus als Rückgewinn von Autonomie und Würde angesehen werden, wenn nur ein Roboter zugegen ist. Das betrifft auch sprachliche Äußerungen. Die Nähe zu einem robotischen Gegenüber könnte Menschen mitunter auch Raum geben, etwas zu sagen, was sie sonst nicht äußern können, zumal Angebote wie ein seelsorgerliches Gespräch nicht allen zugänglich sind. Analog zu KI-Chatbots dürften gerade responsive robotische Gegenüber künftig vielfach die Möglichkeit eröffnen, etwas sprachlich auszudrücken, was zumindest in diesem Moment keinem Menschen anvertraut werden kann.
Pflegepersonal
Auch mit Blick auf das Personal ist es durchaus nicht ausgemacht, dass sich durch Pflegerobotik alles zum Schlechteren wendet. Thunbergs Studie hält etwa fest, dass companion robots vom Pflegepersonal zumindest in Einzelfällen nicht als Mehrbelastung wahrgenommen wurden ([6], S. 96). Dennoch dürfte die allgemeine Zustimmung seitens der Pflegekräfte davon abhängen, ob die Pflegeeinrichtungen für die Roboterpflege und -bereitstellung eigens Personal einsetzen. Gerade wenn zunehmend fähige Roboter ohne Zutun der Pflegekräfte operieren können und ihre Fähigkeiten unter Einbeziehung mit Pflegekräften entwickelt werden, dürfte künftige Implementierung mit höherer Zustimmung und besseren Ergebnissen rechnen, vor allem, wenn sich echte Entlastung des Pflegepersonals einstellt.
Fazit
Wie in der Gegenüberstellung deutlich wurde, ist die Frage der (De-)Humanisierung der Pflege in erheblichem Maße von Vorannahmen abhängig, die jeweils abweichende Deutungen ausschließen. Eine faire Abwägung von Potentialen und Risiken von Robotik in der Pflege könnte dazu beitragen, künftige Implementierungen langfristig so zu gestalten, dass diese, wenn überhaupt, allen Beteiligten – vor allem Gepflegten und Pflegepersonal – zugute kommen. Weder erscheint es angemessen, den Einsatz von Pflegerobotik an sich zu verdammen oder für unumgänglich zu erklären, da letztlich beides zu (normativ) unmenschlichen Bedingungen beitragen kann, unter denen Menschen leiden, die sich kaum wehren können.
Literatur
[1] Nolte K. „...menschliche Arbeit durch Maschinen“. Umgang mit Technisierung in der Krankenpflege in den 1960er bis 1980er Jahren. In: Rubeis G, Hartmann KV, Primc N, editors. Digitalisierung der Pflege. Interdisziplinäre Perspektiven auf digitale Transformationen in der pflegerischen Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2022. p. 21-35.[2] Papadopoulos I, Koulouglioti C, Lazzarino R, Ali S. Enablers and barriers to the implementation of socially assistive humanoid robots in health and social care: a systematic review. BMJ Open. 2020;10:1-13.
[3] Assadi G, Manzeschke A. Künstliche Emotion. Zum ethischen Umgang mit Gefühlen zwischen Mensch und Technik. Ethik in der Medizin. 2023;35:201–219.
[4] Wright JA. Robots Won’t Save Japan. An Ethnography of Eldercare Automation. Ithaca & London: ILR Press; 2023.
[5] Laitinen A, Niemelä M, Pirhonen J. Social Robotics, Elderly Care, and Human Dignity: A Recognition-Theoretical Approach. In: Seibt J, Nørskov M, Andersen SS, editors. What Social Robots Can and Should Do. Amsterdam: IOS Press; 2016. p. 155-163.
[6] Thunberg S. Companion Robots for Older Adults. A Mixed-Methods Approach to Deployments in Care Homes. Linköping: Self-Published; 2024.
[7] Laestadius L, Bishop A, Gonzalez M, Illenčík D, Campos-Castillo C. Too human and not human enough: A grounded theory analysis of mental health harms from emotional dependence on the social chatbot Replika. new media & society. 2024;26(10):5923-5941.



