59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
‚Das Beste aus einer hilflosen Situation machen‘ – Erfahrungen von Hausärzt:innen mit der Gesundheitsversorgung von Post-COVID-Patient:innen in Niedersachsen
2Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland
3Michigan State University, Department of Family Medicine, USA
Text
Hintergrund: Nach einer SARS-CoV-2-Infektion leidet ein Teil der Patient:innen unter langfristigen Beschwerden wie Fatigue oder Atemnot. Der als Post-COVID-Syndrom (PCS) bezeichnete Symptomkomplex stellt sowohl Patient:innen als auch Versorgende vor erhebliche Herausforderungen. Dies betrifft insbesondere Hausärzt:innen, da sie in der Regel die ersten Ansprechpersonen für PCS-Patient:innen sind.
Zielsetzung/Fragestellung: Die vorliegende qualitative Teilstudie geht zwei Fragen nach: (1) Welche Erfahrungen machen Hausärzt:innen mit der Versorgung von PCS-Patient:innen? (2) Welche Versorgungsbedarfe nehmen sie wahr?
Material und Methoden: Drei leitfadengestützte Fokusgruppen mit insgesamt 20 Hausärzt:innen wurden im Sommer 2024 durchgeführt. Die Rekrutierung erfolgte über Kooperationspraxen der universitären Institute für Allgemeinmedizin in Niedersachsen. Die Fokusgruppen wurden aufgezeichnet, transkribiert, pseudonymisiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Aufgrund der komplexen Pathogenese und der fehlenden kausalen Therapieoptionen empfinden Hausärzt:innen große Unsicherheiten bei der Versorgung von PCS-Patient:innen. Zudem nehmen einige Hausärzt:innen eine Stigmatisierung von PCS-Patient:innen im Gesundheitssystem wahr. Andere äußern sich selbst abwertend gegenüber PCS-Patient:innen. Viele Hausärzt:innen wünschen sich praktikablere Handlungsempfehlungen für Diagnostik und Therapie sowie einen leichteren Zugang zu fachärztlicher Versorgung und Psychotherapieplätzen. Auch ein verständnisvoller Umgang mit PCS-Patient:innen und mehr auf PCS spezialisierte Angebote werden als wichtig für eine bedarfsgerechte Versorgung erachtet.
Diskussion: Die Ergebnisse weisen auf Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung von PCS-Patient:innen hin. Trotzdem ist es aufgrund von strukturellen Problemen und Stigmatisierungen im Gesundheitswesen wichtig, dass Hausärzt:innen eine strukturierte Betreuung dieser Patient:innengruppe gewährleisten und eine Lotsenfunktion im Gesundheitssystem übernehmen. Außerdem können die initiale Diagnostik und die longitudinale Begleitung mit einem symptomorientierten, biopsychosozialen Behandlungskonzept als zentrale Aufgaben von Hausärzt:innen betrachtet werden.
Take Home Message für die Praxis: In der hausärztlichen Praxis ist ein akzeptierender, empathischer Umgang mit PCS-Patient:innen sowie ein starker Fokus auf die psychosoziale Betreuung dieser Patient:innen entscheidend, um sie bestmöglich bei der Krankheitsverarbeitung und -bewältigung zu unterstützen.